Selten blöder Artikel von Henrik Müller: Wie Sparpolitik und Brexit Großbritannien heruntergewirtschaftet haben

Wie Sparpolitik und Brexit Großbritannien heruntergewirtschaftet haben.

Henrik Müller ist Professor für wirtschaftspolitischen Journalismus an der Technischen Universität Dortmund, wo er spezialisierte Wirtschaftsjournalismus-Studiengänge leitet.

 

Ich bin Wirtschaftsproktologe und wir werden uns das ganz tief anschauen und mal schauen, ob wir da nicht ein bisschen mehr “beef” liefern können, statt nur Geschwurbel.

Der Schock von 2008/2009 [Die große Rezession] saß tief. In Großbritannien war ganz deutlich, dass die konservativen Tories nach ihrer Regierungsübernahme 2010 letztlich kaum eine Vorstellung von Britanniens Weiterentwicklung hatten. Es gab keine Vision, keine Strategie, keinen Plan – außer irgendwie die Schulden in den Griff zu bekommen.

Der historischen Gerechtigkeit halber muss man sagen: Bei der Amtsübernahme der Konservativen war die Haushaltslage tatsächlich dramatisch. Unmittelbar nach der Finanzkrise von 2008 und 2009, die am Banken- und Börsenplatz London besonders gewütet hatte, war der Staatshaushalt dramatisch ins Minus gerutscht.

Nun, das ist natürlich richtig. Es wurde immer die hohe Staatsverschuldung Deutschlands, im Vergleich zum Vereinigten Königreich, herausgestellt. Was ist während der Krise passiert?

 

Man sieht, dass die Schulden durch die Krise 2008 von unter 60 Prozent auf über 120 Prozent hochgeschnellt sind.

 

Einer OECD-Analyse zufolge bremsten die Tories in den Zehnerjahren bei allen möglichen Ausgabenkategorien: Arbeitsmarktpolitik, Wohnungsbau, Umweltschutz, Bildung, öffentliche Sicherheit, Verteidigung, Freizeiteinrichtungen. Bei der Gesundheitsversorgung und beim öffentlichen Transport hielten sie die Ausgaben in Relation zum BIP in etwa konstant. Die staatliche Investitionsquote sank weit unter den Durchschnitt der Vergleichsländer. Nur bei Wissenschaft und Forschung gaben die Konservativen merklich mehr aus.

 

Das mag sicher richtig, sein, es bleibt die Frage, was die Alternative gewesen wäre? Im Prinzip kann diese Sparpolitik auch als Ursache des Brexit gesehen werden. Did Austerity Cause Brexit? Thiemo Fetzer

So weit kann man Prof. Henrik Müller durchaus zustimmen. Irgendwas mit Krise und Schulden, Austeritätspolitik und Brexit.  Die Schlussfolgerung des Artikels steht ganz am Anfang:

Vergammelte Innenstädte, schlecht ausgestattete Krankenhäuser: Nach 14 Jahren konservativer Herrschaft ist Großbritannien kaputtgespart – und immer noch hoch verschuldet. Der EU-Austritt hat die Misere nur verschlimmert.

Also ganz schlimm diese Konservativen. Die haben Großbritannien kaputt gemacht. Von jemand, der Studien für die Otto-Brenner-Stiftung, eine gemeinnützigen Stiftung des bürgerlichen Rechts der Gewerkschaft IG Metall macht, kann man wohl nichts anderes erwarten. Ich stimme aber zu, dass der Brexit aus ökonomischer Perspektive vermutlich falsch war. Aber so weit zur Analyse. Und tatsächlich sieht es nicht gut aus in der UK:

Broken Britain“:Die britische Wirtschaft und Gesellschaft befinden sich in einer tiefen Krise. Der Artikel beschreibt den Niedergang Großbritanniens in den letzten Jahrzehnten und analysiert die Gründe dafür:

  • Sinkende Produktivität und Investitionen im Vergleich zu anderen G7-Ländern
  • Wachsende Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen
  • Verschlechterung der öffentlichen Dienstleistungen und des Gesundheitssystems
  • Hohe Armut und stagnierende Lebenserwartung
  • Zunehmende Abhängigkeit von US-Unternehmen und Finanzsektor
  • Negative Auswirkungen des Brexits auf Handel und Wirtschaft

Doch gehen wir etwas weiter zurück und erinnern uns. Großbritannien war der kranke Mann Europas und dann kam Margaret Thatcher, machte Reformen und Großbritannien stieg wieder zu einer führenden Wirtschaftsmacht aus, zumindest wird und das so erzählt. Jetzt aber wollen wir mal einen Blick auf die Erdölförderung in der UK werfen:

 

Und darauf basierend möchte ich eine ganz neue Interpretation geben. Der Aufstieg der UK vom kranken Mann Europas basierte eben bei weitem nicht nur auf den Reformen von Thatcher, die waren vielleicht sogar nur nebensächlich. Vielmehr war es die Kombination von drei Dingen:

  1. Reformen von Margaret Thatcher.
  2. Der Fund und die Förderung gigantischer Erdölmengen
  3. Der Beitritt zur EU, bzw. zum damaligen Vorgänger, der EG.

Sicherlich hat GB ein überlegenes Rechtssystem (common law), eine extrem stabile Demokratie und fantastische Universitäten. Aber im Prinzip kann man den Erfolg von damals einfach kopieren. Man muss nur einem großen Markt beitreten, der vor der Haustür liegt und Unmengen von Öl finden. Auf jeden Fall ging dieser Ölreichtum irgendwann zu Ende und das ausgerechnet in einer Zeit, als es zur Finanzkrise kam, welche die UK als stark finanzorientiert Wirtschaft völlig überproportional getroffen hat. Die anschließende Austeritätspolitik war vermutlich ausschlaggebend für den Brexit.

 

Die folgende Grafik zeigt, dass das BSP pro Kopf in GB quasi stagniert und kaum noch wächst.

Wobei die Grafik noch optimistisch sein dürfte. Denn um Wachstum zu messen, muss man die Inflation kennen, die notorisch schwer zu messen ist. In Industrielastigen Ländern wie China kann man ggf. prüfen, ob der Energieverbrauch wächst und ob dies mit den Daten korreliert. Außerdem gibt es auch Zweifel, wie viele Einwohner GB überhaupt hat. Die Zahlen könnten also noch deutlich schlechter sein. Es sei auch angemerkt, dass GB extrem auf Lebensmittelimporte angewiesen ist. 2020 wurden 46% aller Lebensmittel importiert.  Das Land kann sich also nicht alleine Ernähren. So etwas ist keine gute Ausgangslage.

 

Fakt ist, die Probleme von GB liegen tief und sind sicher nicht durch ein paar Reformen und etwas Investitionen zu lösen.  Es wird sicher spannend werden. Generell sollte man für solche Fälle immer einen Plan B haben.